Stitch by Stitch – Step by Step
Nicole von Alvensleben und Claudia Frick hatten Ende 2015 die Idee, eine Schneider-Werkstatt zu gründen, um Auftragsarbeiten und kleine Serien-Produktionen für lokale Start-up Modelabels anzufertigen. Besonders wichtig war es Ihnen, geflüchteten Schneiderinnen eine Chance zu geben. Sprachdefizite und fehlende Qualifikationsnachweise sollten kein Hindernis darstellen, um am Arbeitsleben teilzunehmen. Gleichzeitig wollen Sie kleinere Modelabels unterstützen und nachhaltige Mode fördern.
„Step by Step“ lautet das Motto der Gründerinnen. Dieses Motto überträgt sich in vielerlei Hinsicht auf Stitch by Stitch. Was genau sich dahinter verbirgt und welche Tipps Gründer beherzigen sollten, erklärt Nicole von Alvensleben im Interview.
Wie kamen Sie auf die Idee „Stitch by Stitch“ zu gründen?
Angefangen hat alles im Herbst 2015. Claudia war auf der Suche nach einer Produktionsstätte für ihr Modelabel „Coco Lores“. Allerdings gab es nur sehr wenige Möglichkeiten, die alle nicht wirklich passend waren. Im Gespräch haben wir dann gemeinsam die Idee zu „Stitch by Stitch“ entwickelt. Dann ging eigentlich alles ganz schnell. Kurz vorm Ablauf der Bewerbungsfrist haben wir uns für ein Stipendium des ANKOMMER.Perspektive Deutschland Programms beworben, ein Projekt des Social Impact Lab, unterstützt durch die KfW Stiftung. Durch die Aufnahme in das Programm konnten wir unsere Idee mit der Hilfe von Experten weiterentwickeln. Besonders hilfreich waren vor allem das Netzwerk und der Austausch mit anderen Start-ups. Während wir unsere Idee ausbauten, waren wir immer mehr davon überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Im Februar 2016 haben wir dann offiziell „Stitch by Stitch“ gegründet.
Ihr Motto lautet „Step by Step“. Wie darf man das verstehen?
Unser Motto zieht sich eigentlich durch unser ganzes Unternehmen. Wir haben klein angefangen und sind Schritt für Schritt gewachsen. Wir stellen uns immer wieder neuen Herausforderungen und wachsen dadurch auch persönlich. Manche Frauen sind zu Fuß geflüchtet und im wortwörtlichen Sinn „Schritt für Schritt“ nach Deutschland gekommen. Auch Integration findet „Step by Step“ statt. Letztendlich ist es auch beim Nähen nichts anderes: Stich für Stich entstehen neue Produkte.
Woher wussten Sie, dass Ihre Idee eine gute Idee ist?
Wir haben viele Kontakte zu lokalen Modelabels und kannten die Problematik. Wir wussten daher von Anfang an, dass ein Bedarf besteht. Durch unsere Erfahrungen als Unternehmerinnen und unsere Expertise im Bereich Design haben wir auch das nötige Hintergrundwissen mitgebracht.
Noch dazu habe ich am eigenen Leib erfahren, wie es ist neu anzufangen, ohne die Sprache zu beherrschen. Die Unterstützung, die ich damals erfahren habe, möchten wir gerne weitergeben.
Was macht Ihr Unternehmen oder ihre Idee so einzigartig?
Wir sind alle mit Herzblut bei der Sache und haben viel Freude daran voneinander zu lernen und neues auszuprobieren. Unsere Schneiderinnen bringen vielfältige Fähigkeiten und ein großes Talent mit, dass es uns ermöglicht traditionelle Techniken mit modernem Design zu vereinen. Noch dazu ist alles „Made in Germany“. Ich denke, diese Kombination macht uns einzigartig.
Gleichzeitig möchten wir auch erreichen, dass „Made in Germany“ und echte Handwerkskunst wieder an Bedeutung gewinnt. Es wird zwar noch einen Moment dauern, bis Kunden bereit sind den Preis für individuelle und regionale Produkte zu bezahlen, aber wir sind auf einem guten Weg.
Gibt es etwas, dass sie besonders begeistert?
Es ist faszinierend zu sehen, wie sich alles so schnell entwickelt hat. Nicht nur unser Unternehmen ist in kurzer Zeit gewachsen, vor allem unser Team hat sich unglaublich weiterentwickelt.
Wir möchten mit unserer Idee Inspiration für andere Gründer sein und zum Umdenken anregen. Das ist es auch, was uns am Social Entrepreneurship begeistert: gesellschaftliche Probleme erkennen, umdenken und durch kreative Lösungen in Chancen verwandeln.
Wie gehen sie mit Sprachbarrieren um? Welche Rolle spielt Kommunikation?
Das war für uns nie ein Problem. Nähen ist eine universelle Sprache, die ohne Worte auskommt. Die Professionalität unserer Mitarbeiterinnen konnten wir auch ohne Zeugnisse und trotz anfänglicher Sprachbarrieren feststellen. Trotzdem wollen wir natürlich unsere Schneiderinnen unterstützen. Zwei Mal pro Woche findet Deutschunterricht in unseren Räumen statt. Außerdem unterstützen wir auch fachlich die Nachqualifizierung unserer Mitarbeiterinnen. Uns ist es wichtig, dass wir nicht nur einen Arbeitsplatz bereitstellen, sondern unsere Mitarbeiterinnen mit allem Nötigen ausrüsten, damit sie ihren Weg auch ohne uns weitergehen können.
Wie sind Sie auf die Fördermöglichkeiten aufmerksam geworden?
Gegen Ende des Stipendiums, als uns klar wurde, dass wir unsere Idee auf jeden Fall in die Tat umsetzen wollen, haben wir uns mit dem Thema Finanzierung beschäftigt. Hierbei sind wir auf die Beratung von Jumpp, die Koordinierungsstelle Frauen & Wirtschaft, aufmerksam geworden und haben hier den Tipp zum Hessen-Mikrodarlehen bekommen. Der Mikrokredit war genau richtig für uns. Wir wollten erst einmal klein anfangen und schauen, wie sich unser Unternehmen entwickelt. Durch die schnelle und unkomplizierte Antragsbearbeitung konnten wir zügig starten.
Was raten Sie Gründern? Was würden Sie Ihnen mit auf den Weg geben?
Unverhofft kommt oft! Deshalb sollte man immer flexibel mit den Gegebenheiten umgehen, Ideen überdenken und Probleme kreativ lösen. Natürlich sollte man auch immer an die eigene Idee glauben und sich nicht entmutigen lassen.
Viele begehen den Fehler, dass sie am Anfang zu viel investieren, ohne zu wissen, ob die Idee überhaupt funktioniert. Das schnelle Umsetzten und Testen unserer Idee war uns von Anfang an wichtig. Wir haben uns hierbei am Design Thinking orientiert. Hier steht das „Machen“ im Mittelpunkt. Ideen sollten früh getestet werden. Erst wenn das gut funktioniert, sollte man den nächsten Schritt wagen. Wir haben beispielsweise mit zwei Schneiderinnen in einer Werkstatt der Diakonie angefangen und sind erst später in unsere eigenen Räumlichkeiten gezogen.
Wie fühlen Sie sich jetzt? Geht’s noch weiter? Mehr Pläne? Was treibt Sie an?
Unser Ziel ist es definitiv zu wachsen. Deshalb möchten wir gerne mittelfristig eine zweite Werkstatt eröffnen – eine Männerwerkstatt. Durch die Erzählungen unserer Mitarbeiterinnen wissen wir, dass deren Ehemänner, Brüder oder Onkel ebenfalls gelernte Schneider sind, da in ihren Heimatländern der Beruf des Schneiders traditionell eine Männerdomäne ist. Allerdings haben sie, wie die meisten Flüchtlinge, Probleme ihre Ausbildung anerkennen zu lassen.
Weit in die Zukunft geblickt, möchten wir gerne unsere Idee in andere Städte skalieren. Vielleicht gibt es uns dann auch in Köln oder Stuttgart.
Gründerinnen
- Claudia Frick (Dipl. Mode-Designerin, Maß-Schneiderin, Dozentin, Gründerin des Modelabels „CocoLores“ 2008)
- Nicole von Alvensleben (Social Entrepreneur, MBA, Dipl. Designerin, Werbekauffrau, Gründerin des Studios „spelldesign“)